Ohne Fleiß kein Preis!
Die Königliche Bezirks-Schulinspektion Arnsberg gibt im Jahr 1901 an seine Kreis-Schulinspektionen ein Zeugnis-Heft als Vordruck heraus.
Dieses Heft wird durch den Verlag J. Stahl in Arnsberg hergestellt und verlegt.
Auch die Kreis-Schulinspektion des Kreises Brilon gibt dieses Zeugnis-Heft an die Schulen in ihrem Zuständigkeitsbereich aus – so unter anderem auch an die damalige Volksschule in Olsberg.
Am Montag, dem 07. April 1902 wird Maria Schmücker an der Volksschule Olsberg, damals die „rote Schule“ ganannt, zum Sommerhalbjahr eingeschult.
Sie erhält das vorliegende Zeugnis-Heft.
Der Vordruck gibt Einblicke in das damalige Schulsystem, in die damalige Auffassung von Erziehung und Bildung und in das damalige Leben.
So ist zunächst bemerkenswert, dass auf dem Deckblatt dieses Hefts der Spruch „Ohne Fleiß kein Preis!“ abgedruckt ist.
Kirche und Religion nehmen im staatlichen Schulsystem offenbar eine wichtige Rolle ein: So wird die Häufigkeit des Kirchenbesuchs der Schulkinder bewertet und „Religion“ ist als erstes Leistungsfach aufgeführt.
Das ist bemerkenswert, da der auch im Kreis Brilon heftig geführte Kulturkampf erst vor ca. 20 Jahren beendet wurde.
Damals wurde unter anderem auch in Olsberg das kirchliche Schulsystem durch das staatliche Schulsystem ersetzt.
Ein Wort an die Eltern.
Der Text auf der ersten Seite dieses Hefts richtet sich an die Eltern der Schulkinder und macht diese auf ihre Rolle in der Kindeserziehung aufmerksam.
Bemerkenswert ist hier, dass die Schule ihre Aufgabe nicht nur in der Bildungsvermittlung, sondern in einem hohen Maße, gemeinsam mit den Eltern, auch in der Erziehung sieht.
Ebenfalls bemerkenswert ist, dass nicht nur die Schulkinder, sondern auch deren Angehörige dazu angehalten werden, sich mit Hilfe der Schülerbibliothek weiterzubilden.
Hier der gesamte dort abgedruckte Text:
Die Schule soll die Eltern in dieser hochwichtigen Aufgabe unterstützen und ergänzen. Neben der erziehlichen Einwirkung bezweckt sie die Entfaltung, Übung und Pflege aller Körper- und Geisteskräfte und die Aneignung der notwendigen und nützlichen Kenntnisse und Fertigkeiten fürs Leben. Auch befähigt und ermuntert sie den Schüler zu eifrigem Streben nach selbständiger Weiterbildung.
Aus der gemeinsamen erziehlichen Aufgabe des Hauses und der Schule ergiebt sich die Notwendigkeit, daß Eltern und Lehrer in allen Angelegenheiten der Erziehung sich gegenseitig ergänzen und unterstützen und niemals sich entgegenarbeiten, damit nicht dort niedergerissen werde, was hier aufgebaut wurde.
Namentlich werden die Eltern auf den Auszug aus der Schulordnung aufmerksam gemacht und um genaue Beachtung dringend ersucht.
Die nachstehenden Zeugnisse sollen die Eltern über Betragen, Fleiß und Fortschritte ihrer Kinder unterrichten. Mögen die Zeugnisse das geistige Band zwischen Schule und Haus enger schlingen und die Eltern dadurch angeregt werden, vorhandene Mängel und Hemmnisse zu beseitigen und mit dem Lehrer wegen geeigneter Mittel zur besseren Erreichung des Erziehungszieles Rücksprache zu nehmen!
Die Zeugnisse sind von dem Vater oder dessen Stellvertreter nach Einsichtnahme zu unterschreiben und ohne jede Nebenbemerkung dem Lehrer bezw. der Lehrerin zurückzugeben.
Die Schulaufsichtsbehörde sieht es sehr gern, wenn die Bücher, welche die Kinder aus der Schülerbibliothek zum Lesen bekommen, auch von den Angehörigen fleißig benutzt werden, weil bei Anlage der Bibliothek auf diesen Zweck besondere Rücksicht genommen ist.Ein Wort an die Eltern.
Auszug aus der Schulordnung.
Neben den Zeugnis-Vordrucken enthält dieses Heft auch einen „Auszug aus der Schulordnung“.
Einige Paragraphen regen aus heutiger Sicht zum „Schmunzeln“ an, geben aber bei näherer Betrachtung einen Einblick in das damalige (Zusammen-)Leben und in einige damalige „Sorgen und Nöte“ der Gesellschaft.
Bemerkenswert ist, dass hierin auch auf das Thema „Kinderarbeit“ eingegangen wird, welches damals scheinbar eine entsprechende Rolle spielte.
Hier der gesamte dort abgedruckte Text:
§ 2. Über etwaige körperliche oder geistige Fehler und Gebrechen (Schwerhörigkeit, Kurzsichtigkeit, Stottern, Schwachsinn u. s. w.) müssen die Eltern dem Lehrer sofort Mitteilung machen. Die Zurückstellung schulpflichtiger, aber noch schulunfähiger Kinder muß rechtzeitig und mit dem gehörigen Nachweise – ärztlichen Atteste – beantragt werden.
§ 3. Ohne dringende Gründe darf kein Kind die Schule und die Schulfeierlichkeiten versäumen. Nur bei genügenden Gründen, die schriftlich oder mündlich vorzubringen sind, dürfen die Kinder bis zu zwei Tagen von dem betr. Lehrer (der Lehrerin) beurlaubt werden. Anträge auf längere Beurlaubung sind bei dem Lehrer (der Lehrerin) anzubringen und von diesem an den Orts-Schulinspektor (Rektor) bzw. Kreis-Schulinspektor weiter zu geben.
§ 4. Wenn ein Schüler wegen Krankheit die Schule nicht besuchen darf, so ist dieses dem Lehrer womöglich vor Beginn der Schule, jedenfalls aber noch an demselben Tage mündlich oder schriftlich oder in sondt zuverlässiger Weise von den Eltern anzuzeigen, Unter Umständen kann ein ärztliches Attest als Nachweis verlangt werden. Sollten Krankheiten, wie Cholera, Ruhr, Masern, Röteln, Scharlach, Diphtheritis, Pocken, Flecktyphus, Rückfallsfieber, Unterleibstyphus, kontagiöse Augenentzündung und Krätze bei Schulkindern und anderen Familiengliedern ausbrechen, so sind Eltern bzw. Familienglieder verpflichtet, solches dem Lehrer (Rektor) und der Ortspolizeibehörde sofort anzuzeigen, damit Übertragungen dieser Krankheiten durch die Schule vermieden werden.
§ 5. Diejenigen Personen, welche für den regelmäßigen Schulbesuch verantwortlich sind, ziehen sich bei Nichtbeachtung der §§ 3 und 4 die gesetzlichen Strafen zu.
§ 6. Ordnungsmäßig wird ein Kind am Schlusse desjenigen Schulhalbjahres, in dem es das 14. Lebensjahr vollendet hat, nach bestandener Entlassungsprüfung vom Orts-Schulinspektor bezw. Rektor entlassen.
Die an die höhere Schul-Aufsichtsbehörde durch Vermittelung des Schulvorstandes einzureichenden Gesuche um vorzeitige Entlassung müssen den Nachweis enthalten, daß bei fortgesetztem Schulbesuche des Kindes die Beteiligten (Eltern &c.) in eine Notlage dringendster Art geraten würden.
§ 7. Schulkinder, welche in einen andern Schulbezirk verziehen, müssen bei ihrem Lehrer (ihrer Lehrerin) abgemeldet und bei dem Leiter der nunmehr zu besuchenden Schule sofort angemeldet werden.
§ 9. Die Kinder müssen sauber gewaschen, ordentlich gekämmt und in reinlicher, nicht zerrissener Kleidung zur Schule kommen, sowie die vorgeschriebenen Bücher, Hefte und sonstigen Lernmittel in gutem Zustande bewahren. Die Eltern wollen ihre Kinder anhalten, die häuslichen Schularbeiten mit Fleiß, Sorgfalt und Selbständigkeit anzufertigen.
§ 10. Jeder Schüler untersteht zunächst der Leitung und Aufsicht seines Klassenlehrers; diesem trägt er auch seine Wünsche und etwaigen Klagen vertrauensvoll vor. Er hat sich ferner gegen seinen Klassenlehrer – wie gegen sämtliche Lehrer der Schule – jederzeit, in der Schule und außerhalb derselben, eines ehrerbietigen und folgsamen Benehmens zu befleißigen, seinen Anweisungen willig Folge zu leisten und sich überall gegen seine Mitschüler verträglich zu zeigen.
§ 11. Der Schüler soll zur bestimmten Zeit – frühestens 15 Minuten vor Beginn des Unterrichts – in der Schule erscheinen und nach Beendigung des Unterrichts ruhig und ohne Aufenthalt nach Hause zurückgehen. Unentschuldigtes Zuspätkommen wird wie die unentschuldigte Versäumnis bestraft.
§ 12. Jede mutwillige Beschädigung des Eigentums der Schule oder eines Schülers wird in entsprechender Weise strenge bestraft.
§ 13. Wer Menschen nachruft, Pferde scheucht, auf den Straßen und den öffentlichen Plätzen mit Steinen oder Schneebällen wirft, Vogelnester ausnimmt, Singvögel einfängt, Tiere mutwillig quält, unbefugt Fischbrut und junge Krebse wegfängt, Häuser und Thore mit Kreide beschreibt, nach Eisenbahnzügen wirft, Telegraphen-Anlagen, sowie Bäume und Anpflanzungen beschädigt, fremde Hecken und Heideflächen u.s.w. abbrennt und Feuer in und bei Wäldern anlegt, wird strenge bestraft.
Auf Grund der Anordnungen der Schulbehörden sind zudem die Lehrpersonen verpflichtet, derartige grobe Vergehen der Polizeibehörde anzuzeigen, welche nach Umständen eine gerichtliche Bestrafung herbeizuführen hat.
§ 14. Niemand darf ein fremdes, schulpflichtiges Kind ohne schriftliche Erlaubnis desjenigen königlichen Landrats, in dessen Verwaltungsbezirk die von dem Kinde besuchte Schule gelegen ist, zum Viehhüten anmieten oder verwenden, auch nicht in der Ferienzeit.
Schulkinder zu öffentlichen Aufführungen (kirchliche und Schulfestlichkeiten sind ausgenommen) zu verwenden, ist unstatthaft, auch dann, wenn der Ertrag einem wohltätigen Zwecke dient.
§ 15. Kinder unter 14 Jahren dürfen auf öffentlichen Wegen, Plätzen u. s. w. oder ohne vorgängige Bestellung von Haus zu Haus Gegenstände nicht feilbieten; nur wo dieses herkömmlich ist, darf es die Ortspolizeibehörde für höchstens 4 Wochen in einem Kalenderjahre gestatten. (Gewerbeordnung § 42 b.)
Das Mitführen von Kindern unter 14 Jahren zu gewerblichen Zwecken und die Beschäftigung von Kindern unter 13 Jahren in Fabriken und diesen gleichstehenden Anlagen sind überhaupt verboten; ältere noch schulpflichtige Kinder dürfen gleichfalls in Fabriken nicht beschäftigt werden. (§§ 62, 135 der Gewerbeordnung.)Auszug aus der Schulordnung.
Zeugnis
Dem Zeugnis-Vordruck sind unter anderem die damaligen Schuldisziplinen bzw. die damals unterrichteten Schulfächer zu entnehmen:
- Betragen
- Aufmerksamkeit und Fleiß
- Schulbesuch
- Kirchenbesuch
- Leistungen
- Religion
- Deutsch
- Lesen
- Mündlicher Ausdruck
- Schriftlicher Ausdruck
- Schreiben
- Rechnen und Raumlehre
- Geographie
- Geschichte
- Naturkunde
- Singen
- Zeichnen
- Turnen
- Handarbeit
- Obstbaumzucht
Als erreichbare Prädikate sind die folgenden angegeben:
Betragen und Fleiß
- lobenswert
- gut
- befriedigend
- nicht befriedigend
Schul- und Kirchenbesuch
- regelmäßig
- ziemlich regelmäßig
- unregelmäßig
Leistungen
- sehr gut
- gut
- fast gut
- genügend
- mangelhaft
- ungenügend
Fürchte Gott, ehre den Kaiser, liebe das Vaterland
Auf der Rückseite des Hefts wird dem Kind der Leitsatz „Fürchte Gott, ehre den Kaiser, liebe das Vaterland dein ganzes Leben lang!“ mitgegeben.
Damaliger Standort der Volksschule Olsberg (so genannte „rote Schule„)
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Das Amt Bigge hatte am 27. Oktober 1916 angeordnet, dass alle Krankenhäuser, Waisenhäuser und ähnliche geschlossene Anstalten jeweils zum dritten Tag eines Monats ihren Fleischbedarf…
Medien: siehe Medienbeschriftungen
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